top of page

Ein glücklicher Morgen



Michael kommt von der Toilette zurück und man kann ihn gar nicht übersehen, denn er ruft laut mit einer alles überstrahlenden Begeisterung: „Was glaubst du was gerade auf dem Klo war?“ „Was denn?“ „Da war gar kein Klodeckel“, er grinst verschmitzt und etwas verlegen. „Und was hast du dann gemacht?“, fragt Pia weiter. „Ich habe einfach die ganze Zeit gelacht.“ Ich kann gar nicht anders als richtig laut mitzulachen. Ich stecke voll mit ihm in der Geschichte und sehe mich gerade selber in der Klokabine ganz breit grinsen über das, was ich entdeckt habe.


Pia ist Michaels Betreuerin und vor ein paar Minuten hat sie ihn gerettet. Ihm war eingefallen, dass er auf Klo muss. Innerhalb von Sekunden wurde das zu einem riesigen Problem. Er krümmte sich, verzog das Gesicht gequält und fing an zu jammern. Panik, da er nicht wusste, wo im Club oder hier im Garten eine Toilette ist, so zumindest meinen Deutung. Pia weiß Bescheid, beruhigt und bringt ihn an den gerade dingend benötigten Ort.


Auch hier fühle ich mit, denn ich sage nachdem ich zwei alkoholfreie Bier getrunken hatte schon seit einer halben Stunde, dass ich aufs Klo muss. Der Unterschied zwischen Michael und mir ist, dass ich es wegdrücke und aussitze, bis wir irgendwann reingehen, denn ich will das Klo nicht suchen. Ich bin beeindruckt, wie spontan und direkt Michael das macht. Wirklich beeindruckt, dass man das auch so machen kann, wenn man auf Klo muss. Und als er dann mit seiner Klodeckelgeschichte zurück kommt, bin ich ihm dankbar. Dankbar, dass er Dinge sieht, die ich nicht sehe und mich zum Lachen bringt.


Mir gegenüber sitzt Andy auf einer identischen selbstgezimmerten Bank wie ich und Pia. Er ist gerade angekommen. Andy hat Downsyndrom und ist ungefähr so groß wie ich - so um die 1,60 cm. Er trägt eine dunkle Jeans, ein schwarzes T-Shirt auf dem „Krake“ steht und hat einen blauen Kordelzugrucksack bei sich. Es ist gegen halb zehn und schon etwas dunkel. Ich kann nicht genau sehen, was er in der Hand hat. Es sind dunkle Stäbe, die etwa so lang sind wie seine Unterarme. Ich frage ihn gerade, ob er Strohhalme gesammelt hat, als Pia mir erklärt, dass das seine Schlagzeug-Sticks sind, die er gerade überall mit hin nimmt. Er spielt jetzt nämlich Schlagzeug in einer Band und heute spielen ja auch einige Bands hier im Außenbereich des Clubs.


Die Band die gerade gespielt hatte, ist jetzt fertig und es gibt eine Pause. Deshalb hat sich Andy‚ zu uns gesetzt. Robert, der auch Betreuer und Musiker ist und die Band in der Andy spielt, zusammengebracht hat, erzählt uns, dass Andy gerade während des Konzerts die ganze Zeit vorne an der Bühne stand und sich als Schlagzeuger angeboten hat. Bis zuletzt hat er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er übernehmen kann. Jetzt packt er die Sticks sorgfältig zurück in seinen außergewöhnlich vollen Kordelzugrucksack. Pia erklärt, dass da drin viele für Andy wichtige Dinge sind und dass er sehr organisiert sei und immer genau wisse wo sich was befinde. Andy kommt langsam zur Ruhe. Er erzählt etwas, das ich nicht genau verfolge denn ich unterhalte mich mit Lisa, die Au-pair bei meiner Freundin Katharina (__double_down) ist. Lisa betreut den sechsjährigen Felix, der auch Downsyndrom hat und seine Schwester Clara. 


Andy hat plötzlich wieder meine volle Aufmerksamkeit, denn er weint. Robert hat den Arm um ihn gelegt und tröstet. Ich mache mir Sorgen, da ich nicht genau weiß, was los ist. Ich höre Robert sagen „Andy, du kannst nicht immer mitspielen. Aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen, dass das eine gute Erfahrung ist, wenn man das lernt. Es tut auch gut nicht immer vorne mit dabei zu sein.“ Ich habe verstanden, Andy ist traurig, weil er nicht Schlagzeug mitspielen durfte. Was für mich gerade noch als Pia das erzählt hat, eine lustige Geschichte war, rührt mich nun ungemein. Natürlich ist er traurig!


Es erinnert mich daran, dass mir heute morgen eine Bekannte geschrieben hat, dass sie und eine andere gemeinsame Freundin nächste Woche ohne mich zoomen werden. Beim Lesen der Mail war ich traurig und habe mich alleine und etwas wütend gefühlt. Ich kann Andy verstehen und schätze ihn, dass er seiner Traurigkeit Raum gibt. Fast schon schäme ich mich, wie ich heute morgen alles ganz cool weggeschluckt habe und keinem gesagt habe, wie traurig es mich macht nicht dabei sein zu dürfen. Ich mag wie echt Andy sich ausdrückt. So erfrischend ohne langes Hin und Her und ohne Coolness- und Stärke-Maske und ich mag wie mitfühlend Robert mit ihm ist. 


Wir gehen vom Garten in den Club. Es ist inzwischen fast elf Uhr. Ich gehe endlich aufs Klo und merke tatsächlich gar nicht, dass das Klo keinen Deckel hat, weil ich von der Innenseite der Klotür das Bild oben mache. Im Flur treffen wir Robert wieder, der mit Pia bald los will und weiß, dass die Jungs auch nicht mehr lange durchhalten werden. Eigentlich wollte er heute privat hier sein, aber „wenn seine Leute da sind, dann geht das natürlich nicht“, sagt er mit einem gelassen-glücklichen Lächeln. Ich fühle mich so wohl, wenn Pia und er erzählen und erklären, sich nebenbei noch kümmern und für uns übersetzen, was gerade passiert. Robert erzählt, dass seine Klienten tagsüber in einer Werkstatt arbeiten und deshalb jetzt eben auch langsam müde wären. 


Nicht alle haben Bock auf die stupide Arbeit in der Werkstatt - meiner Meinung nach völlig verständlich. Robert berichtet von Bernhard, der beschlossen hat, dass er zwar wie die anderen in der WG wohnen will, aber nicht in die Werkstatt geht, da das Ausbeute sei. Stattdessen geht er seiner Leidenschaft nach, der Musik. Er kauft Vinyl-Platten im Ein-Euro-Bereich von Secondhand-Läden und verkauft sie dann an anderer Stelle wieder für zwei Euro. Das Geld das er damit macht, spart er für die Platten, die er unbedingt haben will. Ich feire Bernhard unbekannterweise, dass er tut was ihm Freude bereitet und das sein lässt, wozu er keinen Bock hat. Ich wünschte mir, ich könnte so klar sein wie Bernhard. Danke Bernhard, für die Inspiration!


Es ist fast halb zwölf. Katharina und ich verabschieden uns. Draußen quatschen wir noch ein wenig und gehen dann nach Hause. Ich fahre geschwind mit meinem Rad zurück in den Prenzlauer Berg, gehe viel später ins Bett als sonst und schlafe schnell ein. Der nächste Morgen beginnt mit einem Lächeln, denn ich denke an die Geschichten, die ich am Abend zuvor erlebet habe. Ich bin glücklich, genieße den Morgen und nehme mir vor über meinen Club Abend im ://about blank zu schreiben. 


*Die Namen von Michael, Andy, Bernhard, Pia, Lisa und Robert sind geändert. 


Mehr Infos zu der Party-Reihe Spaceship wo man tolle Menschen wie die oben beschriebenen trifft auf ihrem Instagram @spaceship_berlin.

Comments


bottom of page